Interview mit Philip Lehmann

Hallo Herr Lehmann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Bevor wir uns in das Projekt selbst stürzen – was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht gerade Klavierbegleitungen vereinfachen?
Ich bin hauptberuflicher Chorleiter und Coach für Chorleiter* von Laienchören. Als Letzterer habe ich auch ein Buch geschrieben, um Chorleitern etwas zum Lesen an die Hand zu geben. Mit meiner Arbeit möchte ich Amateurmusizierenden den bestmöglichen Zugang und größtmöglichen Spaß an ihrem Hobby ermöglichen.


Die Reihe „dumb it down“ enthält aber überhaupt keine Chorwerke, wieso vereinfachen Sie Klavierbegleitungen?
Meine Frau ist Geigenlehrerin und somit auch Nebenfachpianistin. Sie fühlte sich nicht in der Lage, ihre Schüler selbst zu begleiten – und für ihre Klassenvorspiele Klavierkollegen zu finden, die bereit wären ihre Schüler zu begleiten, war immer mühsam. Und wenn doch, lernten diese das Stück erst in der letzten Probe (wenn überhaupt…) richtig kennen und wurden dadurch verunsichert. Es gibt für viele Violinkonzerte und Stücke vereinfachte Versionen. Da ist dann die Tonart anders oder die hohen Lagen werden ausgespart usw. Wir dachten, es müsste doch auch so etwas auch für die Begleitung dieser Stücke geben, aber zu unserer Überraschung gab es das nicht. Dann machte ich mich 2015 einfach mal dran und fing an zu vereinfachen.


Das erklärt auch die Überzahl an Werken für Streichinstrumente. Ich vermute, dass die Werkauswahl in erster Linie durch den Bedarf Ihrer Frau entstand?
Ja, es sind „Standardwerke“ der (Schüler-)Literatur, die zuerst natürlich die Wünsche meiner Frau erfüllten. Später kamen auch andere Instrumentallehrer auf mich zu und wünschten sich bestimmte Stücke. Da ich selbst Bratscher bin, habe ich dann einige Standardwerke der Violinliteratur für Viola arrangiert, was auch ganz gut ankam.

Man möchte annehmen, dass man einfach ein paar Töne weglässt und dann passt das schon, aber so einfach haben Sie es sich ja nicht gemacht. Wie gehen Sie bei der Vereinfachung vor?
Ich analysiere zuerst die originale Klavierbegleitung im Verhältnis zur Solostimme: Was ist im Klaviersatz unbedingt notwendig, z.B. Übergänge, melodische Momente. In Akkorden brauchen wir den Grundton und die Terz, aber natürlich auch evtl. Dissonanzen, bzw. Vorhalte und melodische Anteile. Vielleicht sind solche Töne schon im Solo vorhanden, bzw. wo spielt das Klavier colla parte mit dem Solo evtl. auch als Unterstimme und wird dadurch obsolet? Nach dieser Analyse streiche ich zuerst einmal ganz viel einfach weg. Alles, was ich als Füllmaterial definiert habe, ist unnötiger Ballast, der gespielt werden müsste. Dann muss ich noch etwas umarrangieren, da ich mir als Grundregel für die drei einfacheren Schwierigkeitsgrade vorgegeben habe, dass in der rechten Hand maximal zwei Töne und in der linken maximal ein Ton zu spielen sind. Außerdem vermeide ich große Sprünge von einer Oktave oder mehr. Und schließlich beginnt der schönste Teil: Nun habe ich ein Skelett, dem ich dann doch sozusagen wieder etwas Fleisch verpassen muss und vergleiche dafür dieses Skelett mit dem Original. Das heißt, ich arrangiere mein Arrangement und füge teilweise Fülltöne wieder hinzu, um klanglich so nahe wie möglich ans Original zu kommen.

Sind denn alle Klavierbegleitungen gleich leicht?
Nein, das geht nicht. Manche Klaviersätze kann man nicht so weit reduzieren, dass sie ganz leicht werden. Manche Werke sind auch so lang, dass sie schon dadurch anspruchsvoller sind. Aber bei einigen Werken besteht die Möglichkeit, quasi entlang des Basso continuos, nur mit der linken Hand zu begleiten. Diese Werke haben wir dann mit einem „Sternchen“ am Schwierigkeitsgrad versehen. Ansonsten haben wir uns für vier Schwierigkeitsgrade entschieden, wobei selbst die Begleitungen des schwierigsten Grades so vereinfacht sind, dass sie von Hauptfachpianisten vom Blatt gespielt werden können.

Wonach entscheiden Sie die Vergabe des Schwierigkeitsgrads?
Zunächst versuche ich die Begleitungen so einfach wie möglich zu gestalten. Aber irgendwann muss ich mit der Vereinfachung aufhören, da sich die Begleitung sonst klanglich zu weit vom Original entfernen würde. Den Schwierigkeitsgrad an sich finde ich als geborener Nebenfachpianist selbst durch das Spielen der Bearbeitung heraus und entscheide dann. Meine Frau hat natürlich auch ihren Anteil daran. Deshalb sind die Schwierigkeitsgrade, die durch verschiedenfarbige Umschläge gekennzeichnet sind, auch beschreibend:
- Grün ist für Anfänger und kann durchaus vom Blatt gespielt werden.
- Gelb muss vor dem Unterricht mal angeschaut werden, damit man eine Orientierung bekommt. Diese Stücke sind meist drei-vier Seiten lang und müssen vor einem Konzert vielleicht auch geübt werden.
- Orange muss man vor dem Unterricht üben und auch eigene Fingersätze eintragen.
- Rote Stücke sind zwar stark vereinfacht, aber wenn man dann einem Stück mit 30 Klavierseiten gegenübersitzt (wie in der Arpeggione von Schubert), muss man sich da als „Nichtstudierter“ einfach reinfuchsen. Das gilt auch bei sehr schnellen Stücken oder solchen mit modernerer Tonsprache.

Ich möchte nochmal auf einen Aspekt einer Ihrer ersten Antworten zurückkommen: Es geht ja auch nicht nur darum, einfach nur eine Begleitung für das Vorspiel zu haben, sondern Schülern die Komplexität des jeweiligen Werks über seine eigene Stimme hinaus zu vermitteln.
Ja absolut! Dadurch, dass auch Instrumentallehrer (also nicht Klavier-…) ohne riesigen Aufwand die Begleitungen im Unterricht verwenden können, kann dem Schüler schon in der Frühphase das jeweilige Stück viel besser vermittelt werden – quasi als ein weiteres Werkzeug im pädagogischen Koffer. Der harmonische Zusammenhang, Übergänge, Dialoge mit Nebenstimmen… Schüler erleben von Anfang an kammermusikalisches Musizieren, miteinander Kommunizieren. Die Realität in der Praxis ist doch eher so etwas wie Playalong-Spielen: bloß nicht von der Begleitung aus dem Konzept bringen lassen. Für Schüler hat diese in der Vorspielsituation keinen Mehrwert, sondern ist eher anstrengend. Dabei könnte das gemeinsame Musizieren so schön sein, wenn es auch gemeinsam entstehen könnte!

Wie ist es denn, wenn sich für den Auftritt doch eine professionelle Begleitung gefunden hat?
Nach der Arbeit mit der vereinfachten Klavierbegleitung ist die originale Begleitung für Schüler überhaupt keine Überraschung mehr, da mein Augenmerk darauf liegt, trotz aller Vereinfachung dicht am Klang des Originals zu bleiben.

Viele Klavierbegleitungen sind ohnehin schon Reduktionen eines Orchestersatzes. Vermutlich ist es dann vergleichbar mit der Situation, vom Korrepetitor zum Orchester zu kommen?
Ja… Und noch etwas: Wenn der Komponist schon eine Begleitung vorgesehen hat – egal ob Orchester oder Klavier – wird das Werk doch, wenn man es immer nur als Solowerk spielt, immer unvollständig sein. Generationen von Schülern lernen immer nur einen Teil dieser Werke kennen und verbringen damit den überwiegenden Teil ihres musikalischen Tuns.

Bislang kamen immer nur Haupt- bzw.  Nebenfachpianisten zur Sprache, aber im Endeffekt gibt es ja noch viel mehr Klavierspieler, für die diese vereinfachten Begleitungen DIE Lösung sind.
Ja klar: Wie toll wäre es, wenn endlich mal gleichaltrige Kinder oder Jugendliche zusammenspielen könnten! Wie viel schöner ist es, mit Freunden oder zumindest einem Menschen gleichen Lebenshorizonts zu musizieren. Jetzt ist es doch so, dass man 10-Jährige mit 13- oder 14-Jährigen zusammenbringen muss, da der Klaviersatz von Gleichaltrigen nicht zu bewältigen ist. Jeder weiß, wie groß die Entwicklungssprünge gerade in diesem Alter sind – das ist Musizieren in einer Zweckgemeinschaft! Aber man kennt es doch von Duos gleicher Instrumente, welche zusätzliche Rolle das sich menschliche Verstehen beim gemeinsamen Musizieren spielt.
Oder Mutter, Vater oder die Großeltern zu Hause, die vor langer Zeit mal Klavierspielen gelernt haben und gern mit ihren Kindern oder Enkeln spielen würden! Oder Amateure, die gern zusammenspielen wollten, aber der Solist langweilt sich und der Begleiter übt und übt und übt und verzweifelt.

Manche Werke sind ursprünglich gar nicht mit Klavier komponiert. Wonach wählen Sie den „originalen“ Klaviersatz aus?
Sie sprechen Klavierauszüge zu Instrumentalkonzerten an. In manchen Fällen passe ich diese noch anhand der Partitur an, um dann „mein“ Original zu haben, das mir als Vorlage für die Bearbeitung dient. Gleichzeitig erstelle ich aber auch bei Transkriptionen für andere, als den ursprünglich vom Komponisten angedachten Instrumenten, aus diesen Vorlagen Begleitungen.
Transkribiere ich z.B. ein Stück für die Violine oder für die Viola, und will ich, dass die Bratsche dieselben Fingersätze wie die Geige spielt, dann muss das Stück eine Quinte tiefer klingen – also auch die Begleitung, was Entscheidungen bezüglich Oktavierungen mit sich bringt, denn das klingt sonst häufig zu dumpf.

Ich mag die Entstehung des Reihennamens – als kleiner Funfact: erzählen Sie mal, wie der Name entstand?
Da meine Frau und ich uns zu Hause auf Englisch unterhalten, kam Sie eines Tages auf mich zu und fragte zu einem Stück: „Can you please dumb this down for me“? Also quasi: kannst Du es mir einfacher machen? Man muss dazu sagen, dass ich ja etwas vollkommen Neues erschaffen hatte und mir fiel kein kluger Name ein, der das Ganze treffender beschreibt. Es gibt ja auch alle möglichen Bücher „…für Dummies“. Ich glaube, dass sich inzwischen keiner mehr persönlich angegriffen fühlt, sondern man eher zu schätzen weiß, was gemeint ist.

Inzwischen sind gut 30 Werke erschienen, aber es gibt unendlich viele Standardwerke für verschiedene Instrumente. Was wird noch kommen?
Das fängt bei einfachen Schülerstücken wie dem Brahmswalzer an, geht über Schülerkonzerte von Rieding oder Seitz, zu Konzertstücken wie Paganinis Cantabile oder auch Konzerten von Hoffmeister für Viola, oder für Kontrabass, oder großen Werken wie Vivaldis Vier Jahreszeiten.

Würden Sie auf Anfrage auch weitere Werke vereinfachen?
Natürlich. Genauer gesagt: Ich freue mich sehr über weitere Anfragen, da jede Lehrkraft ihre eigenen Vorlieben hat und es mir sehr am Herzen liegt, möglichst vielen jungen (und auch älteren) Schülern den Weg in die Zusammenspielerfahrung zu ebnen.

Ich bedanke mich sehr für die Einblicke, die Sie uns gewährt haben und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit!
Das Gespräch führte Maren Trekel.

 

Alle Werke und weitere Informationen finden Sie hier.


                                                                                                                        *Aus Gründen der Lesbarkeit benutzt der Autor in diesem Interview das generische Maskulinum